“So war Philippe Jordans letzte Staatsopernpemiere”
Der nunmehrige Staatsoperndirektor Bogdan Rošćić hat ebenfalls “Tannhäuser” an das Ende seiner Intendanz gesetzt, als er seine ersten fünf Jahre plante. Ist offenbar eine Artwork Mutprobe und gleichermaßen ein Höhepunkt, sich an diesem komplexen Werk abzuarbeiten. Rošćić wurde in der Zwischenzeit in seinem Amt verlängert, sein Musikdirektor Philippe Jordan scheidet nach dieser Premiere aus, was sehr schade ist. Er dirigiert auch dieses Werk fabelhaft, wurde vom Publikum mit viel Applaus und auch mit Rosen bedacht, ein einsamer Buhrufer verstummte im Verlauf des Abends.
Dafür polarisierte die Inszenierung von Lydia Steier, die erstmals im Haus am Ring Regie führte, sehr. Sie erlitt das übliche Schicksal, nämlich viele Buhs. Dabei ist ihr eine kluge, optisch ansprechende, interpretatorisch faszinierende und analytische Arbeit gelungen.
Erster Aufzug intestine. Zweiter Aufzug besser. Dritter Aufzug am allerbesten – das ist das künstlerische Fazit dieses für “Tannhäuser” mit 4:15 Stunden langen Abends (gespielt wird eine Fassung, die viele Umarbeitungen Wagners für Paris berücksichtigt und eine Mischung aus allen bekannten Versionen ist).
Lydia Steier versetzt die Büßergeschichte vom Venusberg, der Wartburg und Rom ins Theater. Im Kopf hatte das Enkelkind eines von den Nazis vertriebenen Wieners, so erzählte sie, das Ronacher von vor der Zeit der Katastrophe. Der erste Aufzug, additionally der Venusburg, spielt auf der Bühne – Steier zeigt eine phänomenale Varieté-Present mit opulenter Ausstattung, viel nackter Haut, Tänzern in exzellenter Choreografie und Diversität. Ein Travestie-Spektakel, dem Tannhäuser verfällt. Die Jägerszene zum Abschluß des ersten Aktes spielt konsequenterweise vor dem Vorhang, weil ja Tannhäuser um Dispens von Venus bittet.
Der zweite Aufzug ist im Zuschauerraum des Theaters angesiedelt, mit Tischen wie in alten Cabarets. Beim Sängerwettstreit tragen die Protagonisten historische Kostüme, inspiriert von einer “Tannhäuser”-Aufführung 1938. Da sieht man, wie lächerlich das auch gewesen sein muss, Steier findet aber die Stability zwischen Humor und ernsthaften Zitaten aus der Aufführungsgeschichte. Tannhäuser sieht im Publikum immer wieder Figuren aus dem Venusberg, gespenstisch wie bei E. T. A. Hoffmann, einer der Vorlagen für Wagner. Da kontrastiert Steier erstmals die Künstlerwelt der Bühne mit dem Spießertum, das es in der Gesellschaft damals wie heute gab/gibt. Wo ihre Sympathien liegen, ist klar – ähnlich wie bei der “Tannhäuser”-Produktion von Tobias Kratzer in Bayreuth mit einer Dragqueen, die zuletzt für Furore gesorgt hatte.
Der dritte Aufzug spielt auf der Hinterbühne, und man sieht, was sich im Geheimen alles tut. Etwa dass Wolfram und Elisabeth eine unerfüllte Liebschaft pflegen – sie küsst ihn leidenschaftlich, was erklärt, wieso er anschließend Wagners schönstes Lied, jenes an den Abendstern, singen kann. Und Wolfram ist, zumindest in seiner Phantasie, auch im Lippenaustausch mit Tannhäuser, bewundert ihn additionally dafür, dass er seine Bedürfnisse auszuleben wagt, Liebe mit allen Geschlechtern ist möglich. Das Theater hat sich in der Gesellschaft und in den Köpfen der Menschen breit gemacht – und es ist nicht mehr wegzudenken.
Ein besonders schöner Ansatz der Regisseurin, der auch durch die Personenführung, eine große Musikalität und Wertschätzung für das Libretto zum Gesamterfolg wird. Dass Steier “Tannhäuser” inhaltlich und optisch in die Nähe der “Meistersinger” rückt, macht ebenfalls Sinn. Noch wird gebuht, möglicherweise ist diese Produktion aber bald schon Kult.
Vielleicht im Herbst dann bei der Wiederaufnahme, die leider nicht mehr von Jordan dirigiert wird. Wegen des Zerwürfnisses mit dem Operndirektor wurde der Dirigent nach seinem Ausscheiden im Juni für keine weiteren Auftritte engagiert, was aus Besuchersicht nur schwer nachvollziehbar ist. Jordan dirigiert “Tannhäuser” mit enormer Präzision, feiner Nuancierung in den Tempi, in keinem Second vordergründig romantisch. Die Effekte ergeben sich aus großer Dramatik, aus lyrischer Zartheit und erzählerischer Kraft. Das farbenprächtig aufspielende Staatsopernorchester macht wunderbar mit und sorgt für schöne Klangerlebnisse. Musik und Regie bilden eine interpretatorische Einheit bei dieser Hommage an das Theater.
Sängerisch ist dieser Abend nicht ganz so homogen, sondern etwas durchwachsen. Der amerikanische Tenor Clay Hilley ist bei seinem Hausdebüt ein guter Tannhäuser, der manches geradezu liedartig gestaltet, bis zum Finale durchhält, sogar noch die Rom-Erzählung differenziert bewältigt. Zu Beginn hält er sich noch etwas zurück, was durchaus von Vorteil ist, weil es ja genügend andere schreiende Heldentenöre gibt. Sein Timbre ist etwas gewöhnungsbedürftig, in der Höhe wird die Stimme weniger schön, seine Bühnenpräsenz kennt man von anderen Tenören.
Martin Gantner ist als Wolfram für Ludovic Tézier eingesprungen, man vermisst den Franzosen, muss aber auch Gantners solide Darbietung durchaus würdigen. Günther Groissböck gibt als Landgraf Hermann wieder Vollgas und gestaltet diese Partie mächtig und profund, Daniel Jenz fehlt es für den Walther von der Vogelweide etwas an stimmlicher Ausstrahlung.
Bei den Damen ist zunächst Ilia Staple als hervorragender Hirte zu erwähnen, was bei einer “Tannhäuser”-Produktion ungewöhnlich ist. Ekaterina Gubanova ist eine dramatische, stimmlich nicht sehr verführerische Venus, Malin Byström eine Elisabeth mit sehr dunklem Timbre, die nicht so berührt wie so manche Vorgängerin. Besonders intestine ist der Chor.
Die Wiener Staatsoper hat mit “Tannhäuser” einen Erfolg gelandet – auch als schönes Plädoyer für das Künstlertum, für die Liebe und gegen Uniformität. Es braucht dafür nicht immer den Track Contest, es geht auch mit einem Wagner’schen Wettsingen.
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